enn man Jesse Krauß zum ersten Mal begegnet, dann ist man von seiner ruhigen, gelassenen und zurückhaltenden Art eingenommen. Da kommt kein „Hier bin ich! Vergesst die anderen!“ daher. Bei längeren Gesprächen kommt auch ein wacher Geist mit Interesse an der Welt und der Kunst zum Vorschein. Und genau so ist seine Kunst. Sicherer Strich bildet eine klare Kontur und zeigt tiefe Eindrücke von Geschichten auf Papier. Seine grafischen Arbeiten lassen eine Vielfalt an Kreativität und künstlerischem Ausdruck erkennen. Keine Plakat oder Flyer ähnelt dem anderen und doch ist der Grafiker Krauß hinter allem sichtbar. Seine Vielseitigkeit zeigt er aber auch bei seinen ersten Schritten auf den Brettern, die die Welt bedeuten und bei seinen filmischen Ambitionen. Die Kompositionen Bild und Musik plus Grafik treffen den richtigen Ton. Krauß ist immer für eine Überraschung gut.
Ulrich Penquitt
M
an hat ja immer so Kriterien. Wann – und warum – einem was gefällt. Sowieso und immer und für alles, mehr oder weniger bewusst, vor allem aber: in der Kunst. Und mein Kriterium nun, wen wundert's: Gut ist, wenn's mir was erzählt. Das gilt mir vor allem für die Bühne, die ich selbst ganz gut kenne, und die mir langweilig, wenn mir dort nichts ... erzählt wird, eben.
Auch in der "Bildenden". Ja, das und das, ist schön. Dies und jenes: kunstfertig, vielleicht. Aber erzählt's mir was??
Jesse Kraußens Bilderchen erzählen mir was. Und wer Karikatur einzuschätzen weiß, kann auch damit umgehen, dass ich sage: "Bildchen". Hier in der Ausstellung im Tellerrand sind's gar Notizzettelchen, echte "Bildchen", hinge-kritzelt(?) zwischen Suppe und Kartoffeln, nein: zwischen Telefonat mit dem mächtigen Verleger und der Rücksprache mit dem Steuerberatungsbüro.
Auch "gekritzelt" meint künstlerisch ja: (sich) hingegeben, weggelassen, intuitiv das Wichtigste am Motiv hervorgekratzt habend ... Das kann er, der Jesse.
Manche der Motive kommen vermeintlich stumm daher, zurückhaltend, höflich, so wie er, Jesse. Auf den weiteren Blick: beginnen sie zu erzählen. Toll. Das pelzige Wesen, das grad um die Ecke ... Wer war das? Und warum? Und wohin? Und ein bisschen Furcht, ein wenig Lust, ein Häuchelchen Gekicher drüber, doch auch wieder eher unheimlich ... Es erzählt, indem es "in mir" erzählt. Das ist die Kunst!
Oder die Scheuche: Aufgestellt, Vögel zu verjagen?? Nein. Mir erzählt's: "Da hat mich mal wer "Vogelscheuche" genannt, wohl weil ich so aus der Zeit herausgefallen zerlumpt daherschweb, und da hab ich mich so gesehen, mich selbst, als Vogelscheuche auf dem Lande, wen aber soll ich scheuchen, und von wem fort, was ist mein Auftrag, mein Grund, mein Ziel? Hab ich ein Wohin? Nein. Deshalb steh ich am Stock. Aber es schimmert noch eine Möglichkeit ..." Das ist, was mir gefällt.
Kurt Tucholsky, als er seinen späteren guten Freund noch gar nicht so gut kannte, schrieb 1920 in einem Artikelchen unter dem Titel DADA über George Grosz:
"... Es ist ziemlich still in der kleinen Ausstellung, und entrüsten tut sich eigentlich auch niemand mehr. Dada - - na ja. - Aber einer ist dabei, der wirft den ganzen Laden um. Dieser eine, um den sich der Besuch lohnt, ist George Grosz, ein ganzer Kerl und ein Bursche voll unendlicher Bissigkeit. Wenn Zeichnungen töten könnten: das preußische Militär wäre sicherlich tot. ... "
Mut zur Tiefe, lieber Jesse, und Mut zum Biss: Hätt ich genug davon, würd ich dir davon noch mehr wünschen! Deine Bildchen erzählen mir davon.
André Wülfing
J
esses unprätentiöse Art, die ich in seinen bildnerischen Arbeiten genauso finde (selbstverständlich ohne erst groß suchen zu müssen) wie in seiner leisen, feinen Persönlichkeit, haben es mir angetan, seitdem ich zum ersten Mal damit in Berührung kam. Hier und da sicher schon vor unserer Zusammenarbeit für die Galerie Tellerrand; letztlich aber ist dieses Ausstellungsprojekt unsere erste richtige gemeinsame Tätigkeit, abgesehen von einigen mehr oder weniger intensiven Begegnungen während des 'Tellerrand-Festivals' des Jahres 2011. Und so richtig kennen lernt man Leute ja dann vielleicht tatsächlich erst in der gemeinsamen Arbeit, dem gemeinsamen Suchen und Aufspüren von lohnenswerten Dingen für die Präsentation im Ausstellungshaus...
Angetan haben es mir diese immer irgendwie freundlichen, lächelnden, manchmal auch mit einer Träne im Auge auftretenden Bilder (ja, auch die noch viel unscheinbareren Zettelchen, die wir in der aktuellen Ausstellung besichtigen dürfen) vor allem wohl, weil ich hier etwas (wieder?) erleben durfte, was ich so jedenfalls seit langen Jahren selten oder gar nicht sah – und so ein Wort wie selten ist in diesem Zusammenhang ja schon ein großes Wort: Hören und sehen, erleben wir nicht alle viel zu viel an Kreativoutput? Viel überflüssigen 'Auswurf' natürlich auch, von dem am Ende nichts wirklich in der Birne haften bleibt, weil nicht nur die Haftcreme fehlt...
Selten jedenfalls sah ich dies:
Was sich im Falle unserer Ausstellung zunächst ganz unaufdringlich als bloße Illustration einer Seite eines ansonsten abhanden gekommenen Kinderbüchleins, oder vielleicht nur als Vorskizze zu einer (Kinder-) Buchseite gibt, entpuppt sich bald (genauer hinschauen sollte man also, der erste Anblick des unscheinbaren Werkes trügt uns zu oft!) als tiefgreifende Beschäftigung mit kleinen, großen – und ja, mitunter auch letzten Fragen unseres Lebens!
So etwas muss man erst mal können! Der – meiner Ansicht nach – oft bis ins kleinste Detail vernarrte, verliebte Illustrator, Grafiker, Künstler Jesse Krauß übt sich hier zu einem Großteil in absoluter Zurückgenommenheit; und dies nicht nur im Hinblick auf das Format der Arbeiten. Die Erdbeere, nach der sich viele von uns jetzt im Winter so sehr sehnen, wobei das Sehnen danach natürlich im Kopf stattfindet, der hier, wie alles außer der Erdbeere nur angedeutet ist, aber das reicht. Es gelingt! Die fehlende Erdbeere im Winter, die uns den Sommer das kleine, aber entscheidende Bisschen versüßen wird. Hier ist sie ganz greifbar. Sehnlichst.
Oder der 'schräg' geratene Wecker... (im Vorfeld so entworfen?) Es laufen die Zahlen weiter und weiter und immer weiter – so wie die Zeit uns allen davon zu rasen scheint. Die Stunden- und Minutenzeiger stehen auf: 24:20 Uhr. Oder aber schlicht: Für die, denen die Zeit nicht davonrast: 00.20 Uhr! Endlich Zeit für's Bett! Feierabend! Aber bitte ohne Weckerklingeln!
Der zwischen zwei (holzvertäfelten?) Wänden eingeklemmte Ballon im Zustand der Todesangst. Jesse schafft es auf seine Art, dass wir mit diesem Ding mitfühlen können; uns gar in ihn hineinzuversetzen in der Lage sind, er werden... und dann uns in den Zwickmühlen unserer Alltäglichkeiten wiederfinden. Wenn auch nicht immer gleich in Todesangst... aber wer von uns ist schon ein Ballon!?
Oft hören wir im Zusammenhang mit Kunst Sätze wie: „Das Einfachste ist das Schwierigste!“ und häufig sind die Sachen nur so daher gesagt, weil man sie eben so sagt! Aber hier trifft es zu! Und ich würde den Ausspruch variieren und bezogen auf viele der hier gezeigten Werke sagen: „Manchmal ist das Einfachste eben doch das Gelungenste!“ Ich hätte gern einige dieser Arbeiten in meiner Sammlung präsent!
Nun werde ich Sie verlassen, schließe hinter mir die Tür und trete in einen dunklen Raum – in den Raum nämlich, aus dem der Mann auf einem der Bilder herausblickt. Suchend. Zögernd. Neugierig.