Wir blicken in einen von einem Baldachin überdachten Raum, darin steht eine weibliche Figur. Sehr streng anmutend, einen voluminösen Pelz um die Schultern gelegt. Ähnliche Porträts hat man schon mal gesehen... Italien... Renaissance... Eine eigentümliche Starrheit. In ihrer Strenge jedoch deformiert und seltsam unförmig, wie durch einen Zerrspiegel gesehen. Unterhalb der übermäßig stark korsettierten Taille endet der Körper: Die Figur ist ohne Beine, wie eine Schaufenster- oder eine Ankleidepuppe. Sie hält in ihren Händen eine weitere Figur, einen wesentlich kleineren, puppenartigen weiblichen Körper, der in einer Landschaft, einer anderen Bildebene, zu schweben scheint. Unter dem Rock der Figur scheinen angedeutete Beinstümpfe hervor. Die Hände, die die Puppe halten, halten auch ein Bein.
„Frauenzimmer“ ist der Titel des Werkes. Eine eigenwillige Doppeldeutigkeit wird aufgespannt: Dargestellt ist ein Frauenzimmer – eine Dame, eine Frau; aber zugleich auch ganz wörtlich ein Zimmer, in dem sich eine Frau befindet. Auch unsere aktuelle Ausstellung trägt diesen Titel.
Jedes Werk der Schau gibt den Blick in beziehungsweise auf ein Frauenzimmer frei. Sabine Grafs Arbeiten wirken zuerst verstörend, kühl, steif und zugleich symmetrisch, genau, überaus akkurat.
Auf den zweiten Blick beginnen die Bilder und Figuren zu leben. Als Betrachter folgen wir den klaren Linienverläufen und taumeln in verschiedene Körper-, Bild- und Realitätsebenen. Alles überschneidet sich, fällt ineinander, läuft zusammen, wird ein Bild, das wiederum nach außen deutlich abgegrenzt ist, sei es durch den Rand der Figur, einen gesetzen Binnenrahmen oder durch den Bildrand.
In den Bildkompositionen werden Schamgrenzen bewusst überschritten. Mit einem Gesicht bestehend aus Schamlippen blickt uns ein wuscheliger Bubikopf augenlos an. Ein Tropfen Blut scheint herauszuquellen. „Regel Nr. 1“ - der Werktitel lässt hier kaum Raum für Assoziationen: Menstruationsblut. Zugleich wirkt das Werk unglaublich eigenwillig, ja fast humorvoll.
Alle Werke bringen eine fast zwanghafte Fixierung auf weibliche Geschlechtlichkeit mit sich. Aber weder pornografisch noch sexualisiert, sondern mit einem biologistischen Blick werden schonungslose anatomische Studien durchgeführt, die an Zeichnungen aus Anatomietraktaten des 18. Jahrhunderts erinnern.
Folgt man dem präzisen Strich, findet man auch extreme Abstraktion. Ellipsen und Dreiecke in „Schalk“ lassen Vulva und Vagina erahnen.
In „Gefangen“ blicken wir auf verschiedene Szenarien des Gefangenseins, wie bei einer Matrjoschka sind alle versammelt in einem Körper: ein Vogel sitzt im Käfig, der wiederum befindet sich im Annex eines massiven Frauenkörpers, die Brüste sind zugleich rote Augen, die aus dem schwarzgekleideten Rumpf wie unter einer Maske hervorluken. Auf dem Rumpf sitzt ein zarter Kopf, das Gesicht verborgen hinter der weiß geschminkten Maske eines Clowns. Alle Szenarien sind versammelt im Körper einer Figur, gerahmt von massiven Beinen in hochhackigen, schwarzen Stiefeln – ach, nein, es sind doch grazile, langgliedrige Hände in langen schwarzen Handschuhen, die den Boden leicht zu berühren scheinen. Der Körper dazwischen verjüngt sich phallusartig zu einer Art Bohrer, der tief in den Boden vorzudringen scheint.
Graf spielt mit Sehgewohnheiten, kreirt kunstvoll versteckte Vexierbilder.
In den filigranen Zeichnungen werden Körper aufgerissen und offengelegt. Wir werden zum Blick hinein gezwungen, zum Hingucken gedrängt. Der Blick aufs Bild ist immer ein Blick in das Innere einer Form, einer Figur, eines Körpers– vielleicht auch in die Seele, in einen Abgrund?
Sabine Grafs Arbeiten präsentieren uns zahlreiche surreale Momente. Sie sind morbide und vulgär, aber mit soviel Liebe und Akkuratesse gearbeitet, dass dadurch der Grad der Verstörung, das Moment des Morbiden noch um ein Vielfaches gesteigert werden.
Begeben Sie sich auf eine Entdeckungsreise in eine ganz eigene Bildwelt.